Der verlorende Sohn
Ihr habt in Meinem Buche die Geschichte des verlorenen
Sohnes gelesen und werdet diese Geschichte nicht nur einmal, sondern schon
öfter gelesen und gehört haben. Aber Ich sage euch, es gibt wohl in dem ganzen
Buche keinen Vers und kein Kapitel, das da Größeres in sich fassen möchte, als
das Gleichnis vom verlorenen Sohn.
Auch wird es nicht leichtlich eine Stelle geben, die für euch schwerer zu
verstehen sein möchte als eben diese. Und das zwar aus der Ursache, die ihr
wissen sollet, da sie von größter Wichtigkeit und als solche ein unerlässlicher
Schlüssel zur inneren Beschauung ist.
Es ist aber diese Ursache folgende: Oft rede Ich aus Meiner Weisheit durch die
Liebe erhabene Dinge; oft aber aus der Liebe durch das Licht der Weisheit
kleinlich Scheinendes. - Nun merket, im ersten Falle wird euch nur so viel
geboten, als es eurer jeweiligen Individualität zu ertragen möglich ist. Im
zweiten Falle aber wird euch eine verhüllte Unendlichkeit gegeben, mit deren
endlicher Entwicklung Ewigkeiten nicht fertig werden.
Und sehet, eine eben solche kleinlich scheinende Gabe ist auch "der
verlorene Sohn". Ja, Ich sage, wüsstet ihr, was alles hinter dem
"verlorenen Sohne" steckt, wahrlich, es würden Erzengel zu euch in
die Schule kommen!
Ich habe euch in den vorhergehenden Stunden so manches gezeigt, wie es in der
gegenwärtigen Zeit auf der Erde zugeht, wobei Ich euch freilich noch die
allergrößten Schändlichkeiten verschwiegen habe
Obschon zwar sich die Sachen in der Welt so verhalten, so sind aber dessen
ungeachtet diese Verhältnisse von Mir euch nicht deswegen kundgegeben worden,
damit ihr daraus ersehen sollet, wie es allenfalls in der Welt zugeht. Denn
solches und noch tausendmal Ärgeres werdet ihr ohnehin künftig nur zu oft zu
lesen bekommen; sondern die Ursache, warum Ich euch solches kundgegeben habe,
ist keine andere als diese, dass ihr daraus das große Geheimnis des
"verlorenen Sohnes" ein wenig zu eurem größten Nutzen tiefer erkennen
möchtet.
Ihr denket euch jetzt freilich: "Was hat denn der "verlorene
Sohn" mit all diesen Weltgrausamkeiten zu tun?" - und seid voll
Neugierde, wie sich aus all diesem Weltlabyrinthe der "verlorene
Sohn" zurechtfinden wird. Aber Ich sage euch: Es ist denn doch noch
leichter aus allen diesen Szenen den "verlorenen Sohn" herauszufinden
und selben darin zu begreifen, als der Durchgang eines Kamels durch ein
Nadelöhr.
Um das Ganze zu verstehen, ist es nötig, dass ihr vor allem erfahret, wer
eigentlich dieser "verlorene Sohn" ist. So Ich euch den "verlorenen
Sohn" zeigen werde, auch nur dem Namen nach, wahrlich, ihr müsstet mit
mehr denn siebenfacher Blindheit geschlagen sein, so ihr nicht im Augenblicke
merken würdet, dass euch eine große Decke von den Augen genommen wurde. Und nun
bereitet euch vor und vernehmet den Namen!
Sehet, er heißet "Luzifer"! - In diesem Namen steckt das ganze, für
euch ewig unerfaßliche und endlose Kompendium des verlorenen Sohnes.
Nun denket euch, dass beinahe die gesamte gegenwärtige Menschheit nichts als
Glieder dieses einen "verlorenen Sohnes" sind, und zwar namentlich
diejenigen Menschen, welche aus Adams ungesegneter Linie abstammen. Sehet,
dieser "verlorene Sohn" hat alles Vermögen, das ihm gebührte,
herausgenommen und vergeudet dasselbe nun durch für eure Begriffe endlos weit
gedehnte Zeiträume.
Ihr wisset aus der Geschichte des verlorenen Sohnes, wie es mit seinem
Endschicksale ging. Nun sehet all diese Verhältnisse der Welt durch; und
wahrlich, ihr werdet nichts anderes erblicken als die Endschicksale des
verlorenen Sohnes im ausgedehnten Maßstabe ...
Was sagt ihr aber zu einem sehr kranken Menschen, wenn seine Füße kalt geworden
sind und auf seinem Haupte kalte Schweißtropfen sitzen? Wahrlich, es bedarf
dazu keines medizinischen Rigorosums, um gewisserart in prophetischem Geiste
aussprechen zu können: nur einige wenige schwere Pulsschläge noch, und der
Qual- und Lebensmüde hat ausgerungen!
Fürs erste befühlet die Füße des "verlorenen Sohnes" im Süden der
Erde. Fürs zweite befühlet sein Haupt in des Nordens großem Reiche. Dann leget
die Hand auf das alte, müde Kirchenherz, wahrlich, ihr müsstet schon wieder
blinder sein als der Mittelpunkt der Erde, so ihr nicht an den Fingern
ausrechnen möchtet, um die wievielte Stunde des großen Tages es nun sei? ...
Aber sehet, jetzt geschieht mit der Seele des "verlorenen Sohnes",
was Ich euch kundgegeben habe von den Seelen, denen das "Zweite
Gesicht" wird! Sehet, ihre große Not breitet sich jetzt in schnellen
Schwingungen aus, und diese gelangen hin vor das große Vaterhaus. Und die
Schwingungen des liebeerfüllten Vaters liebwechseln mit den Angst-, Elend- und
Notschwingungen des "verlorenen Sohnes".
Die Seele des "verlorenen Sohnes" empfindet ein solch heiliges,
sanftes Wehen vom Hause des großen Vaters. Sie kehret aus diesen heiligen
Schwingungen mutbeseligt wieder in ihr morsches Haus zurück, erhebt dasselbe
wieder und kehret in der größten, sich selbst vernichtenden Demut in das ewige
Vaterhaus zurück.
Was geschieht aber dort? - Sehet, die Lumpen nur werden dem Sohne ausgezogen
und verbrannt; allein der Sohn wird, wie ihr wisset, wieder aufgenommen werden.
Sehet, nun habt ihr das ganze, bis auf diesen gegenwärtigen Augenblick
unenthüllte Geheimnis der prophetischen Zahl des Menschen vor euren Augen
enthüllt. Wenn ihr nur einigermaßen die Verhältnisse der Zeit durchgehet,
wahrlich, ihr müsstet mehr denn tot sein, wenn ihr jetzt noch nicht gewahren
solltet die heiligen Gnadenschwingungen, die da nun ausgehen in Strömen von dem
heiligen Vaterhause!
Auch ihr seid Glieder des verlorenen Sohnes! Dehnet eure Seele weit aus und
lasset erwecken den Geist in eurer Seele! Und kehret in aller Demut gleich dem
"verlorenen Sohne" getrost in das große Gebiet eures liebevollsten
Vaters! Wahrlich, Ich sage euch: Er wird euch auf dem halben Wege
entgegenkommen!
Sehet, die Zeit Meiner Gnade ist nahe herbeigekommen, und darum habe Ich euch
auch solches gegeben, dass ihr erkennen sollet, dass jene große Zeit da ist,
von der die Propheten gesungen haben, ja jene Zeit, die aus Meinem Munde selbst
vorausverkündet wurde.
Darum verharret nur noch eine kurze Zeit und freuet euch in großer Zuversicht!
Denn wahrlich, das große Vaterhaus ist euch näher gekommen als ihr es ahnet!
Wie ihr aber den "verlorenen Sohn" und alle diese Zeitverhältnisse in
euch erkennen möget, und wie dieser "verlorene Sohn" in einem jeden
Menschen wiedergefunden wird oder wie er vielmehr sich selbst wiederfindet, wie
der "große Mensch" im Kleinen gewonnen wird, liebe Kinder, davon wird
euch die letzte Stunde getreue Kunde bringen. Amen!
Aus "Himmelsgaben", Band 1, von Jakob Lorber