Zur Frage der Dreieinigkeit
Es steht geschrieben: "Wer Mich sieht, der sieht auch
den Vater!" (Joh.14,9). - Bei Markus (13,32) heißt es aber: "Allein
von jenem Tage und von jener Stunde weiß niemand; auch nicht die Engel im
Himmel, auch nicht der Sohn, sondern nur der Vater." - Wie können diese
beiden Stellen in Übereinstimmung gebracht werden? - Und heißt es nicht auch:
"Der Vater ist größer denn Ich."?
Das ist Mir schon eine rechte Anfrage zwar; aber nur hätten die Fragenden zuvor
recht emsig versuchen sollen, durch den Hauptschlüssel der Liebe zu erörtern
und dadurch in sich selbst zu sehen und zu erfahren und zu bemessen, wie tief
sie schon in ihr Inneres gedrungen sind. - Doch es gibt ja noch tausend
Stellen, die sie noch lange nicht bis in den Grund des Geistes erkennen, und so
bleibt für sie schon noch immer eine Arbeit übrig!
Was sonach aber die vorliegenden Stellen betrifft, da vernehmet und schauet
offenen Herzens in die heilige Tiefe Meiner Liebe in euch! - Denn also spricht
das Liebelicht:
Der "Vater" ist die reinste "Ewige Liebe in Gott" oder das
"Ewige wesenhafte Wort" in Sich Selbst. - Der "Sohn" aber
ist das vom Vater ausgesprochene Wort oder der Sich euch wesenhaft im Sohne
offenbarende Vater Selbst. Es verhalten sich beide wie ein gedachtes und ein
ausgesprochenes Wort, da der Gedanke ist der Grund oder der Vater des
ausgesprochenen Wortes, das ausgesprochene Wort aber wieder nichts anderes als
der sich offenbarende Gedanke oder der Vater des Wortes selbst.
Wenn ihr nun dieses verstehet, so muss es euch ja doch schon sonnenklar sein,
dass wer den Sohn sieht und höret, ja auch den Vater notwendig sehen und hören
muss, und dass demnach Vater und Sohn eines und dasselbe sind, wie der Gedanke
und das danach ausgesprochene Wort - und dass der Vater im Sohne und der Sohn
im Vater ist, wie der Gedanke im ausgesprochenen Worte und das ausgesprochene
Wort im Gedanken.
Auch müsset ihr darnach verstehen, warum der Vater mehr ist als das Wort oder
der Sohn. Das Wort wäre ja ohne den Vater oder den vorhergehenden Gedanken eine
allerbarste Unmöglichkeit! Also ist der Vater als der ewige Zeuger des Wortes
mehr als das gezeugte Wort. Wenn aber das Wort gezeugt ist, dann ist es ja doch
völlig identisch mit dem Vater!
Und so ihr dies alles verstehet, da meine Ich, es dürfte da wohl fast unnötig
sein, euch noch ferner zu erhellen, warum (bei Markus 13,32)
"niemand" vom kommenden Tage und der Stunde des kommenden großen
Gerichtes über die ganze Erde, im Geiste genommen, etwas weiß, außer allein der
Vater - und nicht auch "der Sohn". So ihr nur ein Senfkrönlein groß
Verstandes im Herzen (nicht im Gehirne des Kopfes) besitzet, da müsset ihr ja
doch auf der Stelle einsehen, dass durch das Wort wohl die Wissenschaft des
Gedankens sich kundgibt - aber ist darum das Wort die Wissenschaft selbst? -
Daher kann solches wie alles andere ja doch nur der Vater wissen, nicht aber
der Sohn, der da gleichsam ist die Zunge im Munde des Vaters.
Damit ihr aber über Vater, Sohn und Geist die volle Anschauung habet, so wisset
denn:
Der Gottmensch Jesus war wesenhaft der Vater Selbst oder die Sich mit
menschlichem Fleische bekleidende Ewige Liebe und Weisheit Selbst - oder die
Fülle der Gottheit leibhaftig.
Das ausgesprochene "Wort" des Gottmenschen Jesus oder dessen Lehre
aber ist der "Sohn".
Da aber der Vater schon von Ewigkeit her wusste, was Er tun wird, so war ja der
Gottmensch Jesus auch schon von Ewigkeit her "im Vater",
manifestierte Sich aber als "Gottmensch" erst dann leibhaftig, da
Sich der Vater Selbst offenkundig ausgesprochen hatte!
Saget Mir, begreifet ihr etwa jetzt noch nicht, wie der Sohn und der Vater
eines und dasselbe sind? - Solltet ihr aber jedoch noch Skrupel haben, da sehet
auf den Geist, der muss euch ja in alle Wahrheit leiten!
Denn derselbe Geist, der da ewig war im Vater (der da ist der urewige
Grundgedanke oder die ewige reinste Liebe Selbst) - ist ja doch auch sicher in
des Vaters ausgesprochenem "Worte". Wo aber ein Geist, da wird ja
doch etwa wohl auch eine und dieselbe Wesenheit sein! Wenn es nicht also wäre,
wie hätte da der Gottmensch Jesus von Sich aussprechen können: "Ich bin
der Weg und die Wahrheit und das Leben! Niemand kommt zum Vater denn durch
Mich!" (Joh.14,6) - was soviel heißt als: Ich bin die Liebe oder der Vater,
und die ewige Weisheit oder Gott Selbst, oder der Geist und das ausgesprochene
Wort, oder das ewige Leben Selbst, in welchem da wohnet alle Fülle der Gottheit
leibhaftig!
Da es aber also ist, saget, auf welchem andern Wege kann jemand zum Vater
gelangen, wenn er sich vom selben nicht ergreifen und ziehen lässt, darum er
hat die Freiheit des eigenen Willens!?
Wer sonach das vom Vater ausgesprochene Wort tätig oder lebendig in sich
aufnimmt, der nimmt dann ja auch den Sohn auf. Wer aber den Sohn in sich aufgenommen
hat, der wird ja etwa doch den Vater auch aufnehmen, da der Sohn und der Vater
eines und dasselbe sind!
Wer aber somit Sohn und Vater in sich aufgenommen hat, der wird doch auch
sicher den "Geist" oder das "Licht", das da ist gleich wie
im Vater also auch im Sohne, in sich haben und wird aus diesem Geiste sein
"in aller Wahrheit", und das zwar aus dem ganz einfachen Grunde, weil
es außer diesem Lichte kein anderes Licht mehr gibt, und alles Licht somit nur
diesem alleinigen Lichte entstammt. - Wer aber in dem Lichte ist, der ist auch
im Vater durch den Sohn.
Da aber der Vater das urewige Grundliebeleben ist und alles Licht von diesem
Leben ausgehet, so wird der Mensch doch wohl sicher auch das ewige Leben haben,
wenn er in selbem ist und dasselbe in ihm durch den Sohn, Geist und Vater!?
Dass ihr aber solches nicht verstehet, so ihr es leset, daran schuldet
lediglich euer materiell-heidnisches Drei-Göttertum, das da zu Nizäa ausgeheckt
wurde und später noch stets mehr, sogar bis zur Plastik, vermaterialisiert
ward, so dass ihr euch nun mehr oder weniger nicht davon zu trennen vermöget.
Daher müsset ihr nun allem früheren (Wahn-)Lichte absterben, so ihr wollet zum
reinen Geisteslichte aus Mir gelangen!
Solches verstehet und tuet auch darnach, so werdet ihr leicht und bald zu Mir,
dem heiligen Vater, gelangen! - Amen.
Aus "Himmelsgaben", Band 2, von Jakob Lorber