"Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben; niemand kommt zum Vater denn durch Mich." (Johannes 14,6)
Seht, da haben wir
gleich eine Zentralsonne! Wer deren Licht in sich erschauen kann, der wird in
solcher Beleuchtung sicher einsehen, dass durch das absolute Lesen soviel wie
nichts ausgerichtet ist zum Gewinne des ewigen Lebens.
Der Vater ist die ewige Liebe in Mir, wie Ich in allem Meinem göttlichen Wesen
von Ewigkeit her vollkommen in ihr bin. Denn Ich und der Vater sind Eins, oder
Ich und Meine ewige Liebe sind Eins, oder wie die Liebe in ihrer Weisheit
lebendig wohnt ewiglich, also wohnt auch die Weisheit in der Liebe, aus der sie
hervorgeht, ewiglich.
Der Vater oder die Liebe ist das Grundleben alles Lebens; wer nicht zu diesem
lebendigen Urborn alles Lebens zurückkommt, der bleibt tot und kann nirgends
woanders ein Leben überkommen.
Ja, man wird hier bessererseits wohl gleich einstimmen und wird sagen: "Ja
fürwahr, wenn man die Lehre Christi genau durchprüft, so kann man nicht
leichtlich mehr einer andern Meinung sein als allein der nur, dass man nur
allein durch die Befolgung dieser Lehre ein ewiges Leben für Geist und Seele
erreichen kann. Und in dieser Hinsicht ist ganz richtig, was Christus von Sich
ausgesagt hat, dass nämlich Er allein der Weg, die Wahrheit und zugleich das
Leben Selbst ist!"
Und Ich aber sage euch fürwahr: Es gibt Tausende und abermals Tausende, die ein
solches Bekenntnis ablegen, und das aus dem Grunde ihrer guten Einsicht; und
dennoch sage Ich: Sie sind tot und haben weder den Weg, die Wahrheit, noch die
Tür und das Leben gefunden.
Man wird hier sagen: "Diese Sache klingt grob und schonungslos! Wie lässt
sich so etwas von der allerhöchsten Liebe Gottes hören? Was kann der Mensch
mehr tun, als durch den Fleiß seines Studiums zur vollkommenen Einsicht der
großen Wahrheit und Göttlichkeit des großen Lehrmeisters zu gelangen? Was
Höheres kann der Mensch wohl tun, als so er die wahre, höchste, heilige Würde
des göttlichen Wortes evident zu erkennen strebt und durch seinen Fleiß auch
wirklich erkennt?"
Ich aber sage: Das ist einerseits wohl wahr, - es ist sicher besser, so etwas
zu tun, als alles zu verwerfen und dann dem Hochmute der Welt zu frönen; aber
in der Schrift heißt es auch: "Es werden zu der Zeit viele zu Mir sagen:
‚Herr, Herr!'", und dagegen heißt es dann, dass Ich zu ihnen sagen werde:
"Weichet von Mir; denn Ich habe euch noch nie erkannt!"
] Das ist der Grund der euch sicher bekannten Stelle im Neuen Testament. Unter
dem Spruche "Herr, Herr!" wird dargetan, dass Christus wohl als der
Weg, die Wahrheit und das Leben erkannt wird. Aber was nützt diese Erkenntnis,
so niemand auf dem Wege wandeln will und mag nicht tätig ergreifen die
Wahrheit, um durch sie zu gelangen zum Leben?
Ein Schauspieler bin Ich doch wohl sicher nicht, dass Ich Mich begnügen möchte
allein an dem leeren Beifallsgeklatsche, sondern Meine Sache ist voll des
ewigen Ernstes, und Ich verlange daher auch eine ernste Tätigkeit und nicht den
leeren alleinigen Beifall!
Was würde wohl ein reicher Bräutigam für ein Gesicht machen, wenn ihm
verschiedene Bräute allen Beifall bezeigen möchten und möchten ihn loben und
rühmen; so er aber eine oder die andere ergreifen möchte, so liefe sie dann
davon und möchte noch in ihrem Herzen obendrauf schmähen über eine solche
Dreistigkeit?
Saget, wird der Bräutigam wohl eine von solchen törichten Bräuten zum Weibe
nehmen? Fürwahr, er wird hinausgehen und wird sich nach einer Hure umsehen und
wird zu ihr sagen: "Ich kenne dich, dass du eine Hure bist; aber ich sage
dir: Las ab von deinem Getriebe, und ich will dich zum Weibe nehmen!"
Und die Hure wird ablassen, von ihrer wahren, neu erwachten Liebe genötigt, und
wird dem Bräutigam zu einem vielgeliebten Weibe werden - und wird gleichen
einer Magdalena, die ehedem unter allen Weibern Israels die Letzte war; als sie
aber der rechte Bräutigam rief, da ward sie die Erste unter allen Weibern, die
mit dem Bräutigam Selbst die große Auferstehung zum ewigen Leben feierte!
Fürwahr, ihre Sache war nicht das Lesen der Bücher; aber als sie den Rechten
erkannt hatte, da stand sie alsbald ab von ihrem Weltgetriebe und fasste eine
starke, unvertilgbare Liebe zu Dem, den sie als den Rechten erkannt hatte, und
brachte Ihm ihrer großen Liebe wegen alles zum Opfer, was sie auf dieser Welt
hatte.
Sehet, für eine solche Braut war Ich in der wirklichen lebendigen Tätigkeit der
Weg, die Wahrheit und das Leben!
Es gab aber gar viele andere zu der Zeit, die Mich auch als das erkannt hatten,
aber von der Tätigkeit wollten sie nichts wissen; daher gehört für sie auch der
Text: "Also werden die Ersten die Letzten und die Letzten die Ersten
sein!"
Ist denn aber der Weg, die Wahrheit und das Leben in der Tat im Ernste so
schwer? Heißt es nicht: "Mein Joch ist sanft und Meine Bürde leicht!"?
- Ja fürwahr, also ist es auch! Der ganze Weg, die Wahrheit und das Leben und
das sanfte Joch und die leichte Bürde stecken in den zwei Geboten der Liebe.
Ist es denn gar so schwer, Den zu lieben, der die ewige Liebe Selbst ist, und
ist es wohl schwer, zu lieben den eigenen Bruder? O fürwahr! Nichts ist
leichter als das, - nehmet nur die Welt, diese alte Pest des Geistes, aus eurer
Brust, und ihr werdet erfahren, wie süß und leicht es ist, zu lieben die ewige
Liebe und zu lieben den Bruder!
Aber schwer freilich wohl ist es, zu lieben die ewige Liebe und den Bruder,
wenn das Herz voll ist der Welt, voll der Weltrechnungen, voll des Geldes, voll
der Spekulation und voll der höllischen Mathematik, die da auf ein Haar zu
berechnen versteht, was ein Groschen auf dem Wege des Wuchers in einem Jahr für
Prozente abwerfen muss.
Ja fürwahr, wo das Herz dieser Kunst voll ist, da wird der "Herr,
Herr" nicht viel helfen, und der Weg, die Wahrheit und das Leben wird so
schmal und dornig ausfallen, dass er wohl schwerlich je wird überwandelt werden
können.
Was nützt da das Lesen von tausend und tausend noch so wahrheitsvollen Büchern?
Werden sie jemanden zum Leben erwecken, der tagtäglich besorgt ist, sein Herz
stets mehr und mehr von Tag zu Tag mit allem Unrat der Welt vollzustopfen?
Saget, wird jemand von euch mit einer Bildsäule Kinder zeugen können? Oder wird
ein noch so kunstvoll gemaltes Samenkorn aufgehen, so ihr es in das Erdreich
setzet? Sicher weder das eine noch das andere! Das Lebendige kann nur mit dem
Lebendigen wieder Lebendiges zeugen; also kann auch das lebendige Wort nur im
lebendigen Herzen wieder Früchte bringen.
Für den geistig Toten aber ist auch das lebendige Wort nichts als ein gemalter
Same und er mag zahllose solche Körner in sich streuen, so wird er aber dennoch
nie eine Frucht erzielen; weil er das Wort nicht belebt, so wird das Wort auch
nicht lebendig in ihm.
Wer aber nur weniges hört und tut danach, der ist ein Täter des Wortes und
sucht das Reich Gottes wahrhaftig, und alles andere wird ihm hinzugegeben. Ich
meine, das ist auch klar; doch nächstens der Zentralsonnen mehr!
Aus "Schrifttexterklärungen", von Jakob Lorber