"Was ist Leben?
Der Herr, welcher der Gott des Weltalls ist, ist
unerschaffen und unendlich; der Mensch hingegen und der Engel sind erschaffen
und endlich; und weil der Herr unerschaffen und unendlich ist, so ist er das
Sein selbst, welches 'Jehova' heißt, und ist das Leben selbst oder das Leben in
sich.
Aus dem Unerschaffenen, Unendlichen, dem Sein selbst und dem Leben selbst, kann
nicht jemand unmittelbar geschaffen werden, weil das Göttliche Eines und
unteilbar ist; sondern er muss aus Geschaffenem und Endlichem sein, das so
gebildet ist, dass das Göttliche in ihm wohnen kann. Weil die Menschen und die
Engel von dieser Art sind, sind sie Aufnahmegefäße des Lebens. Verirrt sich
daher ein Mensch in seinem Denken so weit, dass er sich nicht für ein Gefäß des
Lebens, sondern für das Leben hält, so kann er nicht von dem Gedanken
abgebracht werden, dass er Gott sei.
Dass der Mensch das Gefühl hat, als wäre er ein Leben, und daher glaubt, er sei
es, beruht auf Täuschung; denn in der werkzeuglichen Ursache wird die
Hauptursache nicht anders wahrgenommen denn als eines mit jener.
Dass der Herr das Leben in sich sei, lehrt Er selbst bei Johannes:
"Gleichwie der Vater das Leben in sich selbst hat, so hat Er auch dem Sohn
gegeben, das Leben in sich selbst zu haben," 5,26. Und das Er das Leben
selbst sei, Joh 11,25; 14,6.
Da nun Leben und Liebe eins sind, wie sich aus dem oben Gesagten ergibt, so
folgt, dass der Herr, weil Er das Leben selbst ist, auch die Liebe selbst ist.
Um sich dies zum Verständnis zu bringen, muss man vor allem wissen, dass der
Herr, weil Er die Liebe in ihrem Wesen selbst, d.h. die göttliche Liebe ist,
vor den Engeln in dem Himmel als Sonne erscheint und dass aus dieser Sonne
Wärme und Licht hervorgeht und dass die daraus hervorgehende Wärme in ihrem
Wesen Liebe und das daraus hervorgehende Licht in seinem Wesen Weisheit ist und
dass die Engel, inwieweit sie jene geistige Wärme und jenes geistige Licht in
sich aufnehmen, Gestalten der Liebe und Weisheit sind, nicht Weisheit und Liebe
aus sich, sondern aus dem Herrn. Jene geistige Wärme und jenes geistige Licht
fließen nicht nur in die Engel ein und geben diesen Anregung, sondern sie
fließen auch in die Menschen ein und regen sie an, ganz nach dem Maß, als sie
Aufnehmer werden; und Aufnehmer werden sie nach Maßgabe ihrer Liebe zum Herrn
und ihrer Liebe gegen den Nächsten. Jene Sonne selbst oder die göttliche Liebe
kann nicht vermittels ihrer Wärme oder ihres Lichts unmittelbar aus sich
jemanden erschaffen; denn ein solcher wäre die Liebe in ihrem Wesen, was der
Herr selber ist. Wohl aber kann sie schaffen aus Substanzen und Stoffen, welche
so gebildet sind, dass sie die Wärme selbst und das Licht selbst aufnehmen
können; vergleichsweise wie die Weltsonne nicht mittels Wärme und Licht unmittelbar
die Keime in dem Erdkörper hervorbringen kann, sondern aus Stoffen des Bodens,
in welchen sie mittels der Wärme und des Lichts wohnen und die Vegetation
hervorbringen kann.
Da nun der Mensch nicht Leben ist, sondern Lebensgefäß, so folgt, dass die Empfängnis
eines Menschen von seinem Vater nicht Empfängnis des Lebens ist, sondern bloß
Empfängnis der ersten und reinsten lebensempfänglichen Form, zu welcher sich
als zu ihrem Inhalt und Anfangspunkt nach und nach im Mutterleib Substanzen und
Stoffe fügen, die in ihren Formen zur Aufnahme des Lebens in seiner Ordnung und
in seinem Grade geschickt sind.
Aus "Weisheit der Engel betreffend die Göttliche Liebe
und die göttliche Weisheit" von Emanuel Swedenborg